
Als Projektjurist betreten Sie regelmäßig fremde Unternehmenslandschaften. Neue Gesichter, unbekannte Hierarchien, gewachsene Strukturen – und mittendrin Sie, mit dem Auftrag, schnell Ergebnisse zu liefern. Während fachliche Kompetenz und juristische Expertise selbstverständlich sind, entscheidet oft ein anderer Faktor über Ihren Projekterfolg: Wie gut Sie die Menschen um sich herum verstehen, einbinden und für sich gewinnen.
Stakeholder-Management klingt nach Konzernsprech. Tatsächlich ist es eine der wertvollsten Fähigkeiten für Projektjuristen – und zugleich eine, die in der juristischen Ausbildung kaum vorkommt. Dabei kann der Unterschied zwischen einem Projekt, das stockt, und einem, das läuft, oft an einer einzigen Frage hängen: Haben Sie die richtigen Leute früh genug ins Boot geholt?
Im Gegensatz zu fest angestellten Kollegen in der Rechtsabteilung fehlt Ihnen als Projektjurist die Zeit, organisch ins Team hineinzuwachsen. Sie haben keine Monate, um Vertrauen aufzubauen oder die informellen Machtverhältnisse zu durchschauen. Gleichzeitig sind Sie auf Informationen und Kooperation angewiesen – oft von Menschen, die Sie erst seit wenigen Tagen kennen.
Hinzu kommt: Projektjuristen werden häufig für heikle Themen geholt. Compliance-Projekte, Vertragsmigrationen, regulatorische Anpassungen – Aufgaben, die Veränderung bedeuten und bei manchen Beteiligten Unbehagen auslösen. Wer diese Menschen nicht abholt, riskiert Verzögerungen, Widerstände oder schlicht fehlende Informationen zur richtigen Zeit.
Ein praktisches Beispiel: Sie sollen die Vertragsmuster eines Unternehmens standardisieren. Juristisch eine überschaubare Aufgabe. Doch wenn der Vertriebsleiter nicht versteht, warum seine bewährten Formulierungen plötzlich problematisch sein sollen, wird er Ihre neuen Muster ignorieren – und Sie haben trotz perfekter juristischer Arbeit nichts erreicht.
Gutes Stakeholder-Management beginnt nicht mit aufwendigen Workshops, sondern mit aufmerksamem Zuhören in den ersten Tagen. Fragen Sie sich gleich zu Beginn: Wer entscheidet wirklich? Wer liefert die Informationen? Wer könnte das Projekt bremsen? Und wer sind die informellen Meinungsführer, die andere beeinflussen?
Vereinbaren Sie kurze Kennenlerntermine mit den wichtigsten Ansprechpartnern. Nicht, um Ihre Agenda durchzusetzen, sondern um deren Perspektive zu verstehen. Was sind ihre Sorgen? Wo sehen sie Hürden? Welche Erfahrungen haben sie mit ähnlichen Projekten gemacht? Diese Gespräche schaffen nicht nur Vertrauen – sie liefern Ihnen auch wertvolles Wissen über Fallstricke, die in keinem Briefing-Dokument stehen.
Ein einfacher Trick: Fragen Sie in den ersten Gesprächen immer auch nach der Person, mit der Sie noch sprechen sollten. So erweitern Sie systematisch Ihr Netzwerk und signalisieren gleichzeitig Respekt vor der Expertise anderer.
Ein typischer Fehler: Sie bereiten eine Präsentation vor und halten sie für alle gleich. Dabei haben verschiedene Stakeholder völlig unterschiedliche Interessen. Die Geschäftsführung will Risiken minimiert sehen. Der Vertrieb braucht schnelle Vertragsabschlüsse. Die IT-Abteilung sorgt sich um Datenschutz-Compliance. Und die Personalabteilung fragt sich, ob Ihr Projekt zusätzlichen Aufwand bedeutet.
Passen Sie Ihre Kommunikation an die jeweilige Perspektive an. Für die Geschäftsführung übersetzen Sie juristische Risiken in Geschäftsrisiken. Für operative Abteilungen betonen Sie die Praxistauglichkeit Ihrer Lösungen. Für fachfremde Kollegen vermeiden Sie Juristenlatein und arbeiten mit konkreten Beispielen.
Manche Stakeholder müssen Sie informieren, andere überzeugen, wieder andere nur auf dem Laufenden halten. Klären Sie früh, wer in welche Kategorie fällt. Das spart Energie und verhindert, dass Sie wichtige Entscheider mit zu wenig Aufmerksamkeit bedenken oder umgekehrt Zeit in endlose Abstimmungen mit Personen investieren, die ohnehin kein Veto-Recht haben.
Nicht jeder freut sich über Ihre Anwesenheit. Manche sehen in Ihnen den externen Berater, der ohnehin keine Ahnung von der Praxis hat. Andere fürchten, dass Ihr Projekt ihre gewohnten Abläufe stört. Wieder andere haben schlechte Erfahrungen mit früheren Projekten gemacht und sind grundsätzlich skeptisch.
Ignorieren Sie solche Widerstände nicht. Sie verschwinden nicht von selbst, sondern verstärken sich meist im Projektverlauf. Suchen Sie stattdessen das direkte Gespräch. Fragen Sie nach den Bedenken und nehmen Sie sie ernst. Oft reicht es, zuzuhören und zu zeigen, dass Sie die Sorgen verstehen, um die Situation zu entspannen.
Manchmal können Sie auch konkrete Zugeständnisse machen. Wenn der Vertrieb befürchtet, dass neue Vertragsklauseln zu langwierigen Verhandlungen führen, bieten Sie an, einen kurzen Leitfaden für typische Kundeneinwände zu erstellen. Solche Gesten kosten Sie wenig Zeit, zahlen aber erheblich auf Ihr Beziehungskonto ein.
Viele Projektjuristen machen den Fehler, zu wenig zu kommunizieren. Sie arbeiten konzentriert an ihren Aufgaben und melden sich erst wieder, wenn alles fertig ist. Das Problem: In der Zwischenzeit wissen die Stakeholder nicht, was passiert, ob es Probleme gibt oder wann mit Ergebnissen zu rechnen ist. Unsicherheit entsteht – und damit Misstrauen.
Etablieren Sie einfache Kommunikationsroutinen. Ein kurzes wöchentliches Update per E-Mail kann Wunder wirken. Nicht lang, nicht detailliert, sondern knackig: Was haben Sie erreicht? Wo stehen Sie gerade? Was sind die nächsten Schritte? Wer muss etwas tun? Solche Updates halten alle Beteiligten im Bild und verhindern, dass sich jemand übergangen fühlt.
Besonders wichtig: Kommunizieren Sie auch Probleme frühzeitig. Wenn sich abzeichnet, dass ein Termin nicht zu halten ist oder eine unerwartete rechtliche Hürde auftaucht, informieren Sie die relevanten Stakeholder sofort. Niemand mag negative Überraschungen. Wer dagegen rechtzeitig Bescheid gibt, ermöglicht es anderen, sich darauf einzustellen – und zeigt gleichzeitig, dass er die Situation im Griff hat.
Hier liegt einer der größten Unterschiede zwischen festangestellten und freiberuflichen Juristen: Ihre Beziehungen müssen über das aktuelle Projekt hinausreichen. Ein zufriedener Stakeholder wird Sie weiterempfehlen, bei künftigen Projekten wieder anfragen oder im besten Fall zum Stammkunden.
Behandeln Sie jeden Kontakt als potenzielle Langfristbeziehung. Das bedeutet nicht, dass Sie sich anbiedern müssen. Es bedeutet, dass Sie professionell, verbindlich und wertschätzend bleiben – auch wenn ein Projekt mal schwierig wird. Ihr Ruf entsteht nicht in den einfachen, sondern in den herausfordernden Situationen.
Bleiben Sie nach Projektende in lockerem Kontakt. Eine kurze Nachricht nach einigen Monaten, ein Hinweis auf einen interessanten Fachartikel oder eine Gratulation zur neuen Position auf LinkedIn – solche kleinen Gesten halten die Verbindung lebendig. Sie bauen damit systematisch ein Netzwerk auf, das Sie langfristig trägt.
Investieren Sie in die ersten 48 Stunden. Nutzen Sie den Projektstart intensiv für Kennenlerngespräche. Die Zeit, die Sie hier in Beziehungsaufbau investieren, holen Sie im Projektverlauf mehrfach wieder herein.
Passen Sie Ihre Kommunikation an. Verschiedene Stakeholder haben verschiedene Interessen und Sprachen. Wer alle gleich anspricht, erreicht niemanden richtig.
Adressieren Sie Widerstände direkt. Skeptiker werden nicht durch Ignorieren zu Unterstützern. Ein offenes Gespräch frühzeitig kann Blockaden verhindern.
Kommunizieren Sie regelmäßig und transparent. Kurze Updates halten alle im Bild und schaffen Vertrauen. Besonders wichtig: Auch Probleme frühzeitig ansprechen.
Denken Sie über das Projekt hinaus. Jede erfolgreiche Zusammenarbeit ist die Grundlage für künftige Aufträge. Pflegen Sie Ihre professionellen Beziehungen auch nach Projektende.
Stakeholder-Management ist keine Zusatzaufgabe, sondern ein integraler Bestandteil Ihrer Arbeit als Projektjurist. Die besten juristischen Lösungen bleiben wirkungslos, wenn Sie die Menschen nicht mitnehmen, die sie umsetzen müssen. Wer das versteht und entsprechend handelt, wird nicht nur erfolgreicher, sondern auch zufriedener arbeiten – und schafft sich gleichzeitig die Basis für eine nachhaltige Karriere als gefragter Projektjurist.